Artikel 15 Abs. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen entspricht Satz 1 des bisherigen Artikels 15 und normiert als Staatsziel die Aufgabe, darauf hinzuwirken, dass in ausreichendem Maße angemessener Wohnraum zur Verfügung steht. Damit unterstreicht die Verfassung die
Bedeutung des Wohnraums als Mittelpunkt der privaten Existenz. Der Wohnraum, auf den jeder einzelne zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen ist (BVerfG, NJW 1993, S. 2035), soll angemessen sein nach Größe, Ausstattung und Preis jeweils bezogen auf den betroffenen Ort beziehungsweise das betroffene Gebiet.
Zu Artikel 15 Abs. 2:
Mit dem neuen Absatz 2 erfährt das Staatsziel eine Konkretisierung durch ein lnitiativrecht der kommunalen Gebietskörperschaften und
des Landtags, um Wohnraumknappheit entgegenzuwirken. Insbesondere den kommunalen Gebietskörperschaften, die bisher vor allem auf
die Rolle der Umsetzung bundes- und landespolitischer Regelungen begrenzt sind, soll so neben der Möglichkeit, eine Mangellage anzuzeigen,
auch zur Veranlassung konkreter Handlungen (Artikel 15 Abs. 3 und 4) verpflichtet werden. Auch dem Landtag ist ein entsprechendes Initiativrecht eingeräumt.
Die ebenfalls in Absatz 2 enthaltene verfassungsrechtliche Definition der Wohnraumknappheit stellt sicher, dass die Begriffsbestimmung der Verursacherebene entzogen ist und Handlungspflichten auf diesem Weg nicht umgangen werden können.
Wohnraumknappheit liegt danach vor, wenn auf dem Gebiet einer Gebietskörperschaft weniger als drei Prozent freier Wohnraum für den Bezug zur Verfügung stehen.
Zu Artikel 15 Abs. 3:
Die geeigneten Maßnahmen zur Abhilfe gegen Wohnraumknappheit umfassen ein breites Instrumentarium, das nicht abschließend aufgezählt
wird. Alle staatlichen Ebenen des Freistaats sind durch die Neuregelung gefordert, Wohnraumknappheit entgegenzuwirken.
In migrationspolitischer Hinsicht kann dies auf Landesebene beispielsweise durch eine Beschränkung der Zuweisung von Migranten zur Unterbringung in betroffenen Gebietskörperschaften geschehen. Auch landespolitische Vorgaben zur Unterbringung und die Nutzung provisorischer Unterkünfte können in Betracht kommen, um plötzlich auftretenden Unterbringungsbedarf zu decken.
Zur Erhöhung des Wohnraumangebots zielt die Regelung auch auf bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Maßnahmen ab, mit denen bebaubare Flächen erweitert und Baubürokratie sowie Auflagen auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt werden können. Das betrifft vor allem auch baukostenerhöhende, klimapolitische Maßnahmen, denen kein höherrangiges Recht zugrunde liegt, wie beispielsweise dem Zwang zur Verwendung von Fotovoltaik, Fernwärme, Anlage von Gründächern sowie bestimmten Material- und Stellplatzvorgaben.
Eine vorausschauende Wohnraumplanung soll von vornherein Überforderungssituationen durch eine frühzeitige Berücksichtigung bei politischen Entscheidungsprozessen vorbeugen.
Zu den staatlichen Instrumentarien zählen zudem die Bereitstellung von Zuwendungsprogrammen, eine Kompensation von Zinsdifferenzen bei
Finanzierungen, die Bereitstellung von Kommunal- und Landesimmobilien und die Absenkung der Belastungen durch landespolitisch begründete Abgaben im Zusammenhang mit der Errichtung und dem Erwerb von Wohnraum.
Zu Artikel 15 Abs. 4:
Soweit Maßnahmen nach Artikel 15 Abs. 3 nicht rechtzeitig beziehungsweise in nicht ausreichendem Umfang ergriffen wurden oder die Wohnraumknappheit vor Inkrafttreten der Neuregelung entstanden sind, enthält Absatz 4 die Verpflichtung, ortsansässigen Bürgern angemessenen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Hierdurch soll einerseits ein Leerlaufen der Regelung zulasten betroffener Bürger verhindert werden. Wohnraumknappheit darf zukünftig nicht
mehr dazu führen, dass Bürger aus ihrem örtlichen Umfeld, von Freunden und Familie wegziehen müssen und sie hierdurch gegen ihren Willen sozial entwurzelt werden. Insofern stellt die Regelung auch eine konkrete Umsetzung des Rechts eines Menschen auf Heimat dar, welches von der Politik bisher weitgehend ignoriert wird.
Die Angemessenheit von Wohnraum orientiert sich an ortsüblichen Maßstäben und geltenden zivilrechtlichen Regelungen, zum Beispiel Vergleichsmieten innerhalb einer Kommune. Die Bereitstellung von entsprechendem Wohnraum an anspruchsberechtigte Bürger ist von den Normadressaten innerhalb eines angemessenen Zeitraums umzusetzen. Die Details zur Zuständigkeit und Umsetzung einschließlich der zu berücksichtigenden Fristen sind in einem einfachen Gesetz zu regeln.
Artikel 2:
Hier wird das Inkrafttreten geregelt.