Die mangelnde politische Bereitschaft zum Erhalt der ostdeutschen Betriebe in der Anfangszeit gehörte nach Einschätzung mehrerer Zeugen zur sogenannten Schocktherapie beziehungsweise Schockstrategie gehört hat (Kollmorgen, Wyrwich, C III 2, Dörre, C II 2d, Ragnitz, C III 2a). Schmerzhafte Transformationsprozesse bei der Privatisierung der über 8000 ostdeutschen Betriebe sollten schnell erfolgen. Exemplarisch wurde das an den Privatisierungsfällen der Jagd- und Fahrzeugwerks Suhl, des Kaliwerk Bischofferode, dem Chemiehandel Erfurt, Robotron, dem Automobilwerk Eisenach, der Faser AG, Carl Zeiss Jena oder auch dem Gelenkwellenwerk Stadtilm untersucht. An diesen Beispielen wurde auch deutlich, dass erfolgreiche Abläufe nicht originär der Treuhand zugesprochen werden können wie Carl Zeiss, gescheiterte Privatisierungen wie in Suhl oder bei der Faser AG hingegen schon. In geschilderten Fällen hatte nicht die Treuhandanstalt das Potential erkannt, sondern die Rettung vor der bereits beschlossenen Liquidation war dem Engagement von Personen zu verdanken war, die hartnäckig gegen die Liquidationsentscheidung angekämpft haben.
Rohwedder und seine Nachfolgerin Breuel hatten das Ziel verfolgt, schnell zu privatisieren und schnell zu verkaufen, sei es für den Preis von einer symbolischen D-Mark (Hoffmann, C II 1). Dieser Schnelligkeit fielen Arbeitsplätze zum Opfer. Sie fielen auch einer unzureichenden Prüfung der Bonität zum Opfer. Als Beispiel sei die Aussage des Zeugen Prof. Dr. Wolfgang Winzer erwähnt. Die Eröffnungsbilanzen der Unternehmen seien völlig unbrauchbar gewesen (Winzer, C IV 2b). Auch Sanierungskosten konnten nicht realistisch bewertet werden.
Eine weitere Rolle im U-Ausschuss spielte die Stabsstelle. Die Zeugin Karliczek kam zu dem Ergebnis, dass Kontrollen auf die Einhaltung der Vorschriften nur stichprobenartig erfolgten (Karliczek, C IV 3a, VL UA 7/2-69). Auch der Zeuge Dr. Andreas Malycha beurteilt die interne Revision der Treuhandanstalt als ineffektiv und stellte fehlenden Aufklärungswillen fest (VL UA 7/2-40). Die Existenz der Stabsstelle sollte intern der Abschreckung dienen. Die Vorgänge um die Niederlassung der Treuhand in Halle haben gezeigt, dass diese Abschreckung nicht funktionierte. Die Strukturen der Treuhandanstalt haben kriminelles Verhalten nach der Zeugin Karliczek nicht verursacht, aber gefördert (Karliczek, C IV 3a). Die strukturellen Bedingungen waren in allen Niederlassungen mit denen in Halle vergleichbar (vgl. Aussagen von Boers, Bischoff, Karliczek C IV 3a, 3b, 3c und VL UA 7/2-66).
Im Verwaltungsrat der Treuhand saßen Vertreter der Bundesregierung, die Ministerpräsidenten der neuen Länder und Vertreter der Gewerkschaften (Böick, C II 1). Die Einflussmöglichkeiten waren begrenzt, das bestreit niemand, sie hätten aber eindringlich auf politischen Druck erweitert werden müssen, zum Beispiel, indem die Treuhand auf Länderebene den Ländern unterstellt werde, wie 1993 in einer dem Ausschuss zur Verfügung gestellten Chronik durch Prof. Dr. Vogel erklärt wurde.
Zweifelsohne war der Umbau der Wirtschaftsstruktur eine herausragende Aufgabe und ein politischer Kraftakt. Diese Aufgabe hätte der steten Reflektion bedurft, ob die laufenden Privatisierungen nicht in eine falsche Richtung laufen. Förderprogramme und die Erkenntnis der Notwendigkeit der Sanierung kamen zu spät. Spätestens mit dem Bekanntwerden der Vorfälle in Halle hätte man auch in Thüringen hellhörig werden müssen. Wir betrachten dies als Versäumnisse der damaligen Verantwortlichen.
Versäumnisse lagen auch bei den Gewerkschaften vor. Der Zeuge Dr. Christian Rau erklärte, die Gewerkschaften haben sich mit den Sitzen im Verwaltungsrat arrangiert. Der Zeuge Andreas Trautvetter sagte, dass die Konzernbetriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre mit Konzernleitungen zusammengearbeitet in 90 Prozent der Fälle Entscheidungen zugunsten der westdeutschen und nicht der ostdeutschen Standorte getroffen hätten (Trautvetter, C IV 5).
Die Strukturen der Treuhand und die Versäumnisse der Verantwortlichen führten schließlich dazu, dass Ende des Jahres 1993 von den 417.000 Industriearbeitsplätzen in Thüringen noch 135.000 Arbeitsplätze übriggeblieben waren (Müller, C V 5m). Dass es erstens schnell gehen und zweitens nicht den Bundeshaushalt belasten sollte bewirkte die radikale Liquidation sehr vieler Betriebe zur Folge gehabt. Das Gefühl bei der Bevölkerung, die ostdeutsche Wirtschaft werde platt gemacht, ist nicht ohne handfeste Grundlage entstanden. Die Entscheidungen der Treuhand aus der Anfangszeit (Herbst 1990 bis Ende 1991), alle Betriebe abzuwickeln die als „unverkäuflich“ eingestuft wurden, weil es für sie keine Kaufinteressenten gab oder bei denen die erforderlichen Investitionen für eine Sanierung als zu hoch eingeschätzt wurden, haben die Arbeitslosenquote bei der Berufsgruppe der Arbeiter und Angestellten im Bereich des verarbeitenden Gewerbes, der sogenannten Industriearbeiter, in bis dahin unbekannte Höhen getrieben. Und Thüringen wurde zur verlängerten Werkbank gemacht.
Nach Angaben des Zeugen Detlev Scheunert habe es zu Beginn der Treuhandtätigkeit „den Grundsatz gegeben, möglichst zu verhindern, dass es verlängerte Werkbänke in Ostdeutschland gebe“ (D.S., C IV 2c). Die zügige Schließung der Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der „Volkseigenen Betriebe“ durch die Treuhand und die darauffolgende Abwanderung dieser Mitarbeiter in die westlichen Bundesländer, haben diese Fehlentwicklung begünstigt. Die Treuhand-Betriebe, die von westdeutschen Unternehmen übernommenen wurden, haben in den allermeisten Fällen ihre Firmenzentrale und die Forschungsabteilung weiterhin im Westen der Bundesrepublik. Die Produktionsbetriebe in den neuen Bundesländern erfüllen demnach genau die Definition der „verlängerten Werkbank“. Dass ostdeutsche Bürger benachteiligt wurden, lässt sich nicht ignorieren.
Was sind die Schlussfolgerungen? Wir stimmen der Einschätzung zu, dass die Treuhand eine Fehlkonstruktion gewesen war. Die Arbeit war keine Erfolgsgeschichte. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich jedoch die logische Folgerung, dass es einer konzertierten Aktion aller ostdeutscher Landesregierungen bedurft hätte, um eine Änderung der Zuständigkeit einzufordern. Dabei bestand ein entscheidendes Hindernis: Es hätten sich CDU-geführte Landesregierungen gegen eine CDU-geführte Bundesregierung positionieren müssen. Die Transformation der DDR-Wirtschaft in die Marktwirtschaft war eine „außergewöhnliche Situation“. Es wäre im Interesse der wirtschaftlichen Zukunft der neuen Bundesländer gewesen, mit Investitionen die Betriebe zu befähigen, marktwirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit zu erreichen. Erfolgreiche Privatisierungen sind kein hinreichender Beweis dafür, dass von einer Erfolgsgeschichte gesprochen werden kann. Bliebe also der Ausverkauf.
Im Untersuchungsausschuss blieben Fragen unbeantwortet. Die erst kürzlich freigegebenen Akten der Treuhand lassen neue Erkenntnisse erwarten. In Ergänzung sind durch das Land öffentliche Formate zu initiieren oder zu unterstützen, die die Aufarbeitung zum Ziel haben. Forschungsprojekte müssen verstetigt werden. Aus unserer Sicht wäre zudem ein neuer Untersuchungsausschuss im Bundestag zur Klärung dieser offenen Fragen dringend geboten.
Sondervotum der Mitglieder der AfD-Fraktion im Untersuchungsausschuss